Vadim 6

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  Kapitel 36  

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Das Bestreben, für das Wohl der Umwelt zu wirken und nicht für sich, ist das einzige Kriterium für den Entwicklungsstand des Menschen

1. Während der Zeit des Aufenthalts des Lehrers in Riga kam es zu einem Treffen mit den Machthabern. Der Direktor des staatlichen Departments für Religionsangelegenheiten von Litauen, namens Artis, wollte sich Vissarion ansehen und anhören, um sich davon zu überzeugen, dass er kürzlich seine Unterschrift zurecht gegeben hatte, die die Existenz der Gemeinde des Letzten Testaments in der Hauptstadt von Litauen offiziell erlaubte. Er war zusammen mit Wladimir, seinem Freund aus dem Justizministerium, gekommen.

2. Artis, ein junger, wohlerzogener Mann, stellte dem Lehrer korrekte Fragen und erhielt Antworten, die ihn befriedigten. Dadurch löste sich eine gewisse Spannung, die durch die Verantwortung für die Registrierung der Gemeinde bestanden hatte, die durch sein Zutun geschehen war.


3. Wladimir, der selbst Erfahrung in der Lehrtätigkeit hatte, was sich in dem Treffen mit Vissarion offenbarte, und der sich am meisten auf die religiösen Fragen konzentrierte, fragte:

4. "Wer hat der Gehirntätigkeit des Menschen eine Beschränkung auferlegt? Schließlich arbeitet das Gehirn nur mit einigen Prozent seiner Möglichkeiten!"

5. "Niemand. Die Beschränkung kommt von der Vorstellungskraft des Menschen. Der Erwachsene entwickelt sich falsch, indem er sich mit den heutigen primitiven, beschränkten Wissenschaften und Tätigkeiten beschäftigt, und dabei verliert er seine wichtigsten Eigenschaften, die er in der Kindheit zurücklässt", antwortete Vissarion.


6. Und weiterhin wurde in dem Gespräch vom Lehrer gesagt: "Der Mensch wird manchmal nicht deshalb zu etwas geführt, damit er 'irgendetwas' unbedingt tut, sondern damit er es ablehnt, nachdem er es besehen und eingeschätzt hat. Jede Situation führt den Menschen zu einer Wahl."


7. "Das Bestreben, für das Wohl der Umwelt zu wirken und nicht für sich - ist das einzige Kriterium für den Entwicklungsstand des Menschen."


8. Insbesondere eine Engländerin hatte die Ankunft von Vissarion in Riga erwartet. Sie war die Vertreterin der Vereinigungskirche in Litauen, die den Messias in der Person von Sun-myung Mun gefunden hatte.

9. Im Gespräch mit dem Lehrer offenbarte sich schnell das Bestreben dieser Frau, in Vissarion jenen Anführer zu finden, der die Botschaft von Sun-myung Mun durch die Länder der ehemaligen Sowjetunion trüge. Denn sie sah die große Anhängerschaft von Vissarion in Litauen und Russland und Seine große Autorität als geistiger Lehrer. Und so bot sie dem Menschensohn an, die Mission von Johannes dem Täufer in der Gemeinschaft der unabhängigen Staaten auszuüben und erinnerte daran, dass einst, vor zweitausend Jahren, Johannes seine Mission nicht erfüllt habe, jetzt aber sei es an der Zeit, die Vergangenheit zu berichtigen und zur Kirchengemeinde von Mun zu führen.

10. Sie erinnerte auch warnend an die Kiewer "Weiße Bruderschaft", die ihrer Meinung nach nur deshalb zerfiel, weil die Anführer dieser Kirche Mun nicht als Träger der Wahrheit angenommen hatten.

11. Vissarion hörte der Frau aufmerksam zu, dankte für das Treffen und lächelte kaum merkbar zu dem unerwarteten Vorschlag ...


12. Der Hauptkaplan von Litauen, der Lutherische Geistliche Waldis, kam, um Vissarion zu sehen, zusammen mit einem jungen Mann, einem Mitbruder im Kirchendienst, einem Pastor namens Agris.

13. Und Waldis sagte, dass er außer seiner unmittelbaren Arbeit als Gefängnispastor auch in der Kommission für Begnadigung beim litauischen Präsidenten arbeite und in Zusammenhang damit eine Frage habe: Wie verhält sich Vissarion zur Todesstrafe?

14. "Das Leben - ist ein Geschenk Gottes, und kein Mensch hat das Recht, dem Nächsten dieses Geschenk zu nehmen", antwortete Vissarion.

15. "Paulus spricht im Neuen Testament vom Schwert der Gerechtigkeit ...", sagte Waldis.

16. "Man muss wählen, wer der Meister der Menschen ist - Paulus oder Jesus. Außerdem wurden die Worte der Wahrheit erst nach vielen Jahren von den Menschen aufgeschrieben", sagte der Lehrer.

17. "Wer bist Du?", fragte Agris.

18. "Ich bin - das Wort Meines Vaters. Deshalb interessiert Mich wenig, was ihr über die Wahrheit denkt und geschrieben habt!"

19. "Und was denkst Du über das Abendmahl?", fragte Agris.

20. "Das Abendmahl ist nur für jene günstig, die noch auf die Ankunft des Lehrers warten. Ist es denn sinnvoll, dass diejenigen die Symbole der Kommunion empfangen, für die der lebendige Lehrer bereits gekommen ist?"

21. "Christus sagte, dass Seine Wiederkunft von Zeichen begleitet werden wird", fuhr Agris fort.

22. "Zeichen gibt es sehr viele, nur Sehende gibt es wenige. Diese Zeit ist ein Examen zur Bestimmung derjenigen, die zu dieser Zeit bereits Sehende geworden sind.

23. "Wenn Ich wiederkomme, werde Ich dann Glauben auf der Erde vorfinden?" - Einst, vor langer Zeit, sind diese Worte gesagt worden. (Lukas 18,8 - Anm. d. Übers.)

24. Wenn man schwer Glauben finden kann, befindet sich folglich ringsum eine Gesellschaft von Blinden. Können aber Blinde Licht sehen?!", sagte Christus.


25. "Was verstehen Sie unter dem Wort der Wahrheit?", fragte der Hauptkaplan.

26. "Die Wahrheit - das ist jenes, was es euch gestattet, euch zu entwickeln und zu existieren, unabhängig von euren Wünschen", antwortete der Lehrer.


27. "Jetzt gibt es viele falsche Christusse, die falsche Lehren verbreiten. Sie sind sehr gefährlich für die Gesellschaft", sagte Waldis.

28. "Viele von ihnen sind krank. Man kann einen Menschen nicht wegen seiner Krankheit verurteilen. Jene, die nicht krank sind, sondern in Versuchung geraten sind, vollziehen ihre Handlungen auch aufrichtig", sagte Vissarion.


29. "Kann man zwei Frauen haben, schließlich hat Jesus die Juden wegen der Vielweiberei nicht getadelt?", stellte Waldis eine Frage, die die eingetroffenen Geistlichen beunruhigte.

30. "Er hat sie nicht getadelt? ... Zu viele Schwächen, menschliche Schwächen, königliche Schwächen ... Und wenn dieser Tadel nicht in der Heiligen Schrift steht, so bedeutet das nicht, dass die Vielweiberei erlaubt ist.

31. Man kann nicht Liebe zu zwei Frauen gleichzeitig offenbaren, das ist keine Liebe."


32. "Und wenn eine neue Liebe entsteht und die ehemaligen Gefühle zur Ehefrau bestehen nicht mehr?", fragte Agris.

33. "Der Mensch hat das Recht jenen zu lieben, zu dem dieses Gefühl entsteht, doch er darf mit diesem Gefühl nicht jenem Schmerz zufügen, für den er einst die Verantwortung vor Gott auf sich genommen hat", antwortete der Lehrer.


34. "Und eine letzte Frage, weil wir nicht das Recht haben, Sie aufzuhalten und viele hinter der Tür auf ein Treffen mit Ihnen warten. Ihr Verhältnis zur Bibel, dem Alten und Neuen Testament? Sind sie wahr?", fragte Waldis.

35. "Jedes Buch wurde für seine Zeit richtig geschrieben. Ihr redet jetzt wie Leute, für die der Lehrer noch nicht gekommen ist. Erfasst die Bibel, Ich würde Mich nur freuen!

36. Doch schließlich ist die Bibel über Mich geschrieben. Wer weiß dann die Wahrheit besser: das Buch über die Wahrheit, oder Jener, Der die Wahrheit gebracht hat, Jener, von Dem dieses Buch berichtet?!"


37. Am 14. Oktober, am letzten Morgen des Aufenthalts des Menschensohnes in Riga, vor der Abfahrt nach St. Petersburg, zeigten Janis und Inesse dem Lehrer die Turaida-Burg.

38. Ein nebliger Morgen des goldenen Herbstes. Die Höhle in Sigulda und die Jahrhunderte alten Unterschriften auf ihren Gewölben, von jenen zurückgelassen, die schon vor Hunderten von Jahren wie heute auf diese Weise versuchten, ihren Namen im Gedächtnis der Menschheit zu "hinterlassen".

39. Die Burg begrüßte den Lehrer mit morgendlichem Nebel und seltenen Geräuschen, die keiner bestimmten Zeitepoche angehörten - die Vogelschreie, die Stimme eines Leiterwagens, der über die Steinbrücke fuhr.

40. Der milchige Morgen löste die Zeit auf. Vissarion schritt einsam auf der Burgbrücke und berührte ihre Geländer, die mit viele Jahrhunderte alten Klängen angefüllt waren.

41. Irgendwann einmal, vor langer Zeit, vor etwa fünf- oder mehr Tausend Jahren, haben Liven dieses Land besiedelt - ein Volk, das aus Südsibirien in das baltische Land gekommen war.

42. Die Liven waren Heiden gewesen. Die Natur, von unsichtbarer Harmonie und Vernunft durchdrungen, war das Objekt ihrer Verehrung gewesen.

43. Und als das dreizehnte Jahrhundert seit der ersten Geburt des Meisters die ersten Jahre zu zählen begonnen hatte, hatten Kreuzritter, die die Botschaft von Christus mit Schwert und Blut verbreiteten, diese Lande unterworfen und so die Liven durch diese Unterwerfung zum römischen Papst und zur Annahme des Christentums gebracht. Und damals war die Turaida-Burg entstanden als ein Bollwerk des neuen Glaubens, als ein Bollwerk des menschlichen Verständnisses von der Wahrheit.

44. So hatte eine der Abzweigungen der arischen Stämme die Botschaft von der Wahrheit erworben, um eines Tages, nach einigen Jahrhunderten, den Menschensohn, Der am Ausgangspunkt dieses alten Volkes ein Heiligtum schuf, zu begrüßen und zu erkennen.