Ein schwieriges Treffen in Tscheremschánka ~ Begegnung mit Iwan, einem Altgläubigen
1. Ende August 1992. Minusinsk. Eine Fahrt nach Tscheremschánka zu einem Treffen mit den Einwohnern stand bevor.
2. Der Beginn des Baus der ersten Häuser in der Taiga, in der Nähe des heiligen Sees, war um unbestimmte Zeit verschoben worden, denn die Ortsansässigen, in der Mehrzahl Altgläubige, waren gegen die Ankunft neuer Menschen.
3. Nachdem die Altgläubigen gesehen hatten, wie jene, die sich Anhänger von Vissarion nannten, sich in der Taiga verhielten, waren sie dagegen, dass sie zu den heiligen Orten pilgerten.
4. Viele nur neugierige und im Glauben noch unsichere Menschen waren in die Taiga gekommen, um die Orte der Bestimmung kennen zu lernen.
5. Und es hatte viel Lärm, Rauch und leere Gespräche gegeben; die Taiga hatte das nicht ausgehalten und die Menschen, die ungeladenen Gäste, mit Krankheiten und Ärger bestraft.
6. Die Altgläubigen aber, die ebenfalls schwach in Seele und Glauben waren, hatten schnell an die schlechten Gerüchte über die Fremden geglaubt, und hatten sich ganz abgekapselt.
7. "Nun wissen wir, dass ihr nicht wegen der heiligen Orte hier seid, sondern wegen Gold. Wir wollen euch nicht, eure Krankheiten und Ausschweifungen!
8. Und wenn ihr solche seid, so ist auch euer Vissarion so einer, kein Sohn Gottes, sondern ein Lügenprophet!" sagten die Ortsansässigen, die der Versuchung, Gerüchte zu verbreiten nicht standgehalten hatten.
9. "Wie kann man sich denn über die Wahrheit ein Urteil bilden nach jenen, die versuchen, sie zu verstehen?!" hatte der Lehrer dazu gesagt.
10. Und so fuhr Vissarion zusammen mit Anhängern nach Tscheremschánka zu einem mühsamen und schwierigen Treffen.
11. Der Weg war weit, die Taiga erhebend und schön. Von ihrer unberührten Reinheit und Macht stockte einem der Atem.
12. Es war bereits abends. Das Auto geriet in das nächste Loch und kam zum Stehen.
13. Für einen Augenblick wurde es sehr still. Die ungewohnte Stille klang in den Ohren.
14. Vom Weg her waren Schritte zu hören und in den Wagen stieg ein Mann ein. Man begrüßte sich. "Wo fahrt ihr hin?", fragte er.
15. "Nach Tscheremschánka", antworteten die Reisenden.
16. "Das trifft sich gut. Gott sei Dank seid ihr hier. Ich war bei der Schwiegermutter zu Besuch und habe mich etwas länger aufgehalten. Bis nach Tscheremschánka sind es 20 Werst (ca. 20 Kilometer). Ich hatte schon befürchtet, dass ich zu Fuß gehen müsste.
17. Ich bin losgegangen, habe zum Himmel auf die ersten Sterne geschaut, habe den Psalm Davids zitiert und den Herrn um Hilfe gebeten. Gott sei Dank! Er hat euch zu mir geschickt. Ein gutes Zeichen!"
18. Der abendliche Gast nannte sich Iwan. Er hatte eine Familie, eine Frau und vier Kinder. Und er war dreißig Jahre alt. Iwan war ein Altgläubiger ...
19. Das Gespräch wurde schnell lebhaft. Man sprach über den Glauben, über die Liebe, über die Prophezeiung der Apokalypse.
20. Doch als Iwan erfuhr, dass sich Vissarion im Wagen befinde, wurde er wachsam.
21. "Wie denn das?" sagte er. "In diesem Auto ist Vissarion. Ich hätte nicht gedacht, in seiner Gesellschaft zu sein ... Wie denn auch? Habe ich doch den Vater um Hilfe gebeten, habe den geliebten Psalm zitiert und bin nun in ein Auto mit Vissarion geraten. Schließlich ist er doch - ein Lügenprophet."
22. Iwan versank in Schweigen, ließ den Kopf hängen, rieb sich die Stirn mit der Hand ab.
23. "Du hast doch gesagt, das wäre ein gutes Zeichen", antwortete Vadim. "Und kann man über den Lehrer, über die Wahrheit, nach fremden Worten urteilen? Höre Ihm zu und entscheide dann selbst, ob es sich um Wahrheit oder um Lüge handelt."
24. "Ja, ihr habt recht. Man muss selbst die Wahl treffen! Doch versucht mich nicht! Ich sehe, ihr haltet Ihn für den Sohn Gottes. Ihr haltet Ihn für Christus! Wie ist das möglich? Wenn Vissarion Christus ist, so haben wir nicht den gleichen Weg."
25. Nach diesen Worten heulte das Auto auf, ruckte und verstummte, als wolle es Iwan zum Aussteigen einladen.
26. Auch Iwan erbebte. Auf seinem Gesicht war Verwirrung.
27. Er nahm seinen Kopf in die Hände, krümmte sich zusammen und schwieg bis Tscheremschánka.
28. Als er in Tscheremschánka aus dem Auto stieg, sagte er: "Wenn ihr erlaubt, komme ich mit euch und höre ihm zu!"
29. Schon vor der Ansprache hatten die Gekommenen den Saal mit Gereiztheit, Ungeduld und Schmerz gefüllt.
30. Das Erklingen des Wortes wurde durch Aufschreie und Ausrufe der Empörung unterbrochen.
31. Zum Schluss der Rede gingen viele, nachdem ihr Ältester sie dazu aufgerufen hatte.
32. Iwan aber hatte sich die ganze Rede angehört und dabei den Kopf tief gesenkt in den Händen gehalten.
33. Das Wort war gesagt! Jedem blieb nun die Wahl. Die Hörenden müssen es begreifen!