Vadim 4

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  Kapitel 9  

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Begegnung mit Betrunkenen

1. Frühlingsanfang. Am Morgen eines der ersten Märztage 1994 sagte der Lehrer zu Vadim: "Gehen wir ein bisschen an die frische Luft."

2. Das war ein sehr seltener Spaziergang, denn jeden Tag dauerten die Zusammenkünfte mit Menschen bis es dunkel wurde, abends aber erwarteten den Menschensohn ungeduldig Frau und Kinder.

3. Und sie gingen in den Fichtenwald, der nicht weit von der Stadt begann.

4. Vom Waldrand kamen ihnen zwei Frauen entgegen und beide waren betrunken von feurigen Getränken.

5. Eine von ihnen hielt sich nur mit Mühe auf den Beinen, ihre Kleidung war vom vielen Hinfallen voll Schnee.

6. Als sie Vissarion und den Schüler sahen, drehten sie den Wanderern den Rücken zu, da sie ihr Zustand verlegen machte.

7. Als aber der Lehrer und der Schüler an ihnen vorbeigingen, hörten sie von jener, deren Kleidung voll Schnee war, böse Worte.

8. Hinter ihnen auf dem Weg begegneten die Wanderer den Männern dieser Frauen, deren Zustand sich wenig von dem ihrer Frauen unterschied.

9. Und einer von ihnen, der einen Vollbart und breite Schultern hatte, fragte, vom Antlitz Vissarions erstaunt: "Wer bist Du?!" und fiel auf die Knie. "Hilf uns, Heiliger Vater!"

10. "Ich bin nicht der Vater, Ich bin Vissarion."

11. Der Mann stand aufgeregt aus der Kniestellung auf und rief laut: "Frau! Komm schnell her. Das ist Vissarion!"

12. Die Frauen kamen angelaufen. Eine von ihnen war ärgerlich und konnte bereits der teuflischen Hinterlist nicht standhalten: Von ihren Lippen lösten sich grobe Worte und sie versuchte, Vissarion wegzustoßen.

13. Die andere aber hielt ihre Freundin mit den Händen auf und sagte: "Vissarion! Ich habe Dich im Traum gesehen. Du bist gekommen und hast gesagt, dass es für mich an der Zeit ist, zu Dir zu gehen."

14. "Es ist schon lange an der Zeit. Warum kommst du nicht?" fragte leise der Lehrer.

15. "Immer klappt es nicht, immer ist keine Zeit", sagte traurig die Frau und senkte die Augen.

16. "Dein Leben entscheidet sich und das Leben deiner Kinder", erwiderte der Menschensohn.

17. Der Mann fiel erneut auf die Knie, nahm den Lehrer bei der Hand und aus seinem Mund war zu hören:

18. "Emanuel! Ich bin ein Altgläubiger. Vergib mir meine Sünden. Vergib sie mir. Sag, was stimmt in meinem Leben nicht?"

19. "Vieles."

20. "Ich tue ja schließlich keinem ein Leid!"

21. "Du hältst die Gebote Gottes nicht ein. Über den Rest zu reden ist sinnlos.

22. Werde zuerst ein Mensch, strebe danach, das Göttliche mit allen Kräften zu erfüllen, säubere dich von dem Schmutz, den du so lange angehäuft hast!"

23. Und der Mann blickte in die Augen des Menschensohnes und sah sich in ihnen.

24. Und die Augen des Mannes füllten sich mit Tränen. Er senkte den Kopf und ließ Tränen in die Hände des Gottessohnes fallen, denn sein Herz hatte vieles erkannt.

25. Der Schüler aber stand daneben und hielt die Arme der anderen Frau, die Schmähungen und Boshaftigkeiten von sich gab.

26. Und Er richtete die Wärme Seines Herzens zu ihr und hob ein Gebet zum Vater.

27. Die Finsternis rang in ihr mit Zucken und nervösen Grimassen.

28. Doch der Bosheitsfluss hielt an und Tränen rannen aus ihren Augen.

29. Jener, der sie störte zu leben, verstummte schließlich. Und während dieser Stille sagte sie: "Entschuldigt mich. Das war ich nicht. Das war eine andere. Ich habe es satt so zu leben ..."

30. Und der Lehrer ging langsam weiter ...

31. Der Mann aber erhob sich von den Knien mit nüchternen, feuchten Augen und sagte zu dem Schüler, während er dem Lehrer hinterher blickte: "Er geht nicht wie ein Mensch von dannen ... langsam und demütig ... Vielleicht ist das eine Vision oder irgendein Wunder?"

32. "Das ist unsere Rettung", sagte Vadim ...